
Die Arbeitsunfähigkeit – aktuelle Themen
Eine schwächelnde Wirtschaft und hohe Krankentage haben im Bundestagswahlkampf 2025 zu Diskussionen darüber geführt, ob in Deutschland zu viele Arbeitnehmer krank sind. Teilweise wurde die Einführung eines „Karenztages“ nach einer mitgeteilten Arbeitsunfähigkeit wie in anderen europäischen Ländern gefordert und auf den europäischen Vergleich verwiesen. Doch wie steht das Arbeitsrecht hierzu und was gilt im Allgemeinen für einen Arbeitnehmer? Diesen Fragen widmet sich der nachfolgende Beitrag.
Was sagen das Arbeitsrecht und die Rechtsprechung zum „Karenztag“?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az. 10 AZR 596/15) hat festgestellt, dass es eine Teilarbeitsunfähigkeit mit teilweiser Arbeitspflicht und teilweisem Entgeltfortzahlungsanspruch nicht gibt. Auch in den einschlägigen Arbeitsgesetzen findet man lediglich die (volle) Arbeitsunfähigkeit, etwa in § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Danach gilt, dass einem Arbeitnehmer bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit – und dies ab dem ersten Tag an – gegenüber dem Arbeitgeber ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für eine Dauer von bis zu sechs Wochen zusteht.
Einen „Karenztag“ sucht man im EFZG vergeblich.
Der „Karenztag“ wird im obigen Sinne im juristischen Sprachgebrauch zudem nicht (mehr) genutzt. Derzeit sieht § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG neben der Verpflichtung zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit vor, dass eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer erst bei einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Kalendertagen dem Arbeitgeber vorzulegen ist. Entsprechende Regelungen weisen oftmals auch Arbeitsverträge auf. Seit dem 01.01.2023 gilt zudem für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, dass eine Arbeitsunfähigkeit lediglich festzustellen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen ist. Der Arbeitnehmer kommt somit seiner Nachweispflicht nach, wenn ein Arzt seine Arbeitsunfähigkeit feststellt. Grundsätzlich sollte eine elektronische Arbeitsunfähigkeit im Anschluss daran spätestens nach 2 Wochen für den Arbeitgeber zum Abruf bereitstehen. Der Arbeitgeber muss die Daten der bei ihm gesetzlich versicherten Beschäftigten auf elektronischem Weg abrufen (sog. „elektronische Krankschreibung“).
Die Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besteht somit oftmals erst nach einer „Karenzzeit“ von drei Kalendertagen. Jedoch kann ein Arbeitgeber die Nachweispflicht auch vor Ablauf der „Karenzzeit“ verlangen, hierfür braucht er weder sachliche Gründe noch Verdachtsmomente (BAG, Az. 5 AZR 886/11).
Was gilt, wenn der Arbeitnehmer seinen Pflichten nicht nachkommt?
Der Verstoß gegen die Anzeige- und Nachweispflichten kann für den Arbeitnehmer einige rechtliche Nachteile mit sich bringen.
Verletzt der Arbeitnehmer seine Anzeigepflicht, so wirkt sich dies zunächst auf dessen Entgeltfortzahlungsanspruch grundsätzlich nicht aus. Gleichzeitig verletzt der Arbeitnehmer aber seine arbeitsvertragliche Pflicht, wodurch Schadensersatzansprüche des Arbeitsgebers entstehen können und dieser zur Abmahnung oder gar Kündigung berechtigt sein kann.
Auch eine Verletzung der Nachweispflichten kann einen Grund zur Abmahnung bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen. Verletzt der Arbeitnehmer diese Pflichten, ist der Arbeitgeber zudem berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, bis der Arbeitnehmer die Nachweispflicht erfüllt.
Was gilt, wenn der ArbeitGeber eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit vermutet?
Für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat der Arbeitnehmer dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen. Hierzu ist die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das wichtigste Beweismittel.
Dennoch kann der Arbeitgeber deren
Beweiswert erschüttern,
indem er tatsächliche Umstände darlegt und notfalls beweist, die Zweifel an der Erkrankung ergeben. Gelingt dies dem Arbeitgeber, ist es wieder Sache des Arbeitnehmers, seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf anderem Weg darzulegen und zu beweisen.
Sollte sich tatsächlich eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit oder jedenfalls der dringende Verdacht hierfür ergeben, kann dies den Arbeitgeber zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen, von einer Leistungsverweigerung über eine Abmahnung bis hin zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigten.
In letzter Zeit sind hierzu einige instanzengerichtliche bis höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, welche aufzeigen, dass die Erschütterung des Beweiswertes durchaus möglich, gleichwohl aber stets eine Beachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich ist.
Muss ein Arbeitnehmer bei einer Arbeitsunfähigkeit zuhause bleiben?
Und auch wenn der Arbeitgeber der Ansicht ist, den krankgeschriebenen Arbeitnehmer bei auswärtigen Aktivitäten „erwischt“ zu haben, ist dies stets sorgfältig zu prüfen. Denn der erkrankte Arbeitnehmer ist nicht etwa ausnahmslos gehalten, das Bett zu hüten oder sein Haus nicht zu verlassen, sondern hat lediglich ein „genesungswidriges Verhalten“ zu unterlassen. Kurz gesagt:
ein Arbeitnehmer darf alle Tätigkeiten wahrnehmen, die seiner unverzüglichen Genesung nicht im Weg stehen.
Beispielhaft hat es das ArbG Dortmund (Az. 5 Ca 3705/18) nicht als Grund für eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausreichen lassen, dass ein aufgrund eines Ermüdungsbruchs im Fuß arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ein Fußballspiel im dortigen Stadion besucht. Auf dasselbe (strittige) Ergebnis ist auch das ArbG Stuttgart (Az. 9 Ca 475/06) gekommen, nach dessen Ansicht im Einzelfall eine Kündigung selbst dann nicht gerechtfertigt sein kann, wenn ein Arbeitnehmer mit einem Bruch des linken Schulterblatts während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gleich zwei Ultra-Marathons à 53 km und 50 km absolviert.
Wie können wir Ihnen helfen?
Die aktuellen Reformvorschläge und obigen Entscheidungen zeigen, dass der Umgang mit arbeitsrechtlichen Problemfeldern, insbesondere der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, eine umfassende Kenntnis und Anwendung der sich fortlaufend entwickelnden Gesetze und Rechtsprechung sowie eine gewissenhafte Einzelfallprüfung erfordert.
Unser erfahrenes Team von Experten steht Ihnen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in den vielschichtigen Themen des Arbeitsrechts an jedem unserer Standorte mit Rat und Tat zu Seite. Vereinbaren Sie gerne einen Beratungstermin.